Interprofessionelle Netzwerke und innovative Primärversorgung eröffnen Chancen für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie
Österreichischer Meilenstein in der Primärversorgung
In Österreich hat sich in den vergangenen Jahren eine moderne Primärversorgung etabliert, die als Vorzeigemodell in Europa gilt. Mehr als 100 sogenannte Primärversorgungseinheiten (PVE) stehen mittlerweile bereit, um Patientinnen und Patienten in einem umfassenden Netzwerk zu betreuen. Rund um Hausärztinnen und Hausärzte haben sich Teams aus unterschiedlichen Gesundheits- und Sozialberufen zusammengeschlossen, inklusive Fachkräften aus der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Dadurch rückt eine ganzheitliche, wohnortnahe Patientenbetreuung stärker in den Fokus, von der insbesondere therapeutische Praxen profitieren.
Große Teams, vielseitiges Know-how
Das Herzstück dieser österreichischen Primärversorgungseinheiten sind interprofessionelle Teams, die mehrere Hausärzte, Pflegekräfte, Ordinationsfachkräfte und je nach Bedarf weitere Berufsgruppen umfassen. Besonders interessant für Therapeutinnen und Therapeuten ist, dass in den Zentren häufig Personen aus der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie direkt mit eingebunden sind. Klassische Überweisungen, beispielsweise zu einer logopädischen Diagnostik oder physiotherapeutischen Behandlung, sollen so verringert werden. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten möglichst umfassend vor Ort zu versorgen. Dabei übernehmen alle Beteiligten eine klar definierte Rolle im Team.
Viele Praxen profitieren von dieser neuen Struktur, weil sie enger in den medizinischen Ablauf integriert werden und eine stetige Rückkopplung mit Ärztinnen und Ärzten möglich wird. Gerade für Physiotherapie und Logopädie ist enger Fachaustausch essenziell, um individuelle Ziele mit Patientinnen und Patienten zu realisieren. Dazu zählt etwa, frühzeitig passende Therapieziele festzulegen, Trainingspläne anzupassen oder Stimm- und Atemtherapien ideal mit medizinischen Maßnahmen zu koordinieren. Ebenso kann die Ergotherapie in solch einem Netzwerk ihre Stärken ausspielen und Therapiekonzepte für die Alltagsbewältigung noch gezielter gestalten.
Verschiedene Formen von Primärversorgung
Primärversorgungseinheiten kommen häufig als Zentren daher, in denen alle beteiligten Gruppen gemeinsam unter einem Dach agieren. Alternativ haben sich in Österreich auch Netzwerke aus Einzelordinationen etabliert. Dort organisieren sich verstreute Praxen in einem Verbund, der durch einen gemeinsamen Vertrag mit der jeweiligen Kasse vereinheitlicht wird. Diese Vernetzung ermöglicht eine engere Abstimmung zwischen Hausärzten, Physiotherapeuten und Logopäden, wodurch Behandlungsabläufe optimiert werden können.
Wohlgemerkt müssen sich diese Netzwerke nicht ausschließlich auf Allgemeinmedizin beschränken. Auch spezialisierte PVE für Kinderheilkunde sind in Österreich vorhanden, was die Vielfalt der Versorgungsmöglichkeiten weiter ausbaut. Für therapeutische Berufe ist das ein spannendes Signal, denn Praxisgründerinnen und -gründer können sich zudem in bestehenden Kooperationen engagieren, ohne zwingend alle Leistungen selbst erbringen zu müssen.
Positive Effekte für die Praxis
Aus Sicht von Praxen in der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie eröffnet die österreichische Primärversorgung neue Chancen. Da Patientinnen und Patienten nun eventuell schon im Erstkontakt mit dem Primärversorgungsteam über ihre Bedürfnisse aufgeklärt werden, ist die Hürde geringer, Hilfsangebote anzunehmen. Wer zum Beispiel bei einer Hausärztin von Schmerzen berichtet, muss nicht erst einen völlig neuen Weg suchen, um physiotherapeutische oder ergotherapeutische Unterstützung zu bekommen. Die Zuweisung erfolgt im Idealfall zügig und in engem Austausch.
Auch der Verwaltungsaufwand kann sinken. Statt alleiniger Koordination durch eine einzelne Praxis werden Termine, Rücksprachen und Befundübermittlungen zunehmend digital gebündelt. Das erhöht nicht nur die Effizienz, sondern stärkt zugleich die Versorgungsqualität. Eine optimale Vernetzung beugt außerdem Doppeluntersuchungen oder mehrfachem Therapieaufwand vor und trägt dazu bei, Praxen langfristig zu entlasten.
Auf dem Prüfstand: Erste Studie, erste Ergebnisse
In ersten Evaluationsberichten wurde festgestellt, dass sich durch die PVE-Strukturen Patientenzahlen steigern und die Zufriedenheit aufseiten der Versicherten hoch ist. Sowohl kürzere Wartezeiten als auch zufriedenstellende fachliche Betreuung sind mögliche Gründe hierfür. Für Therapeutinnen und Therapeuten in der Praxis könnte das bedeuten, dass es seltener zu engpassbedingten Terminausfällen kommt, weil Patientenströme besser kanalisiert werden. Zusätzlich senkt eine sinnvolle Steuerung oft den Druck auf Fachärzte und entlastet so den gesamten ambulanten Bereich.
Positiv verzeichnet wurde auch, dass die Zahl der Weiterleitungen in Krankenhäuser reduziert werden konnte. Wenn eine umfassende medizinische und therapeutische Versorgung in den neuen Einheiten gelingt, sehen Patienten seltener einen Grund, den Weg in die Klinik anzutreten. Stattdessen greifen sie früher auf Logopäden, Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten zurück, die in diese Teams eingebettet sind.
Warum ist das für Therapeutinnen und Therapeuten relevant?
Im Idealfall führt ein sich ausbreitendes Primärversorgungssystem zu mehr direktem Kontakt zwischen medizinischen Fachkräften und therapeutischen Fachleuten. Wer in einer Physiotherapie-Praxis arbeitet, wünscht sich für eine Behandlung oft genauere Einblicke in den medizinischen Verlauf eines Patienten. Bei komplexen Fällen – beispielsweise nach Operationen oder wenn mehrere Krankheitsbilder zusammentreffen – ist eine enge Abstimmung mit Ärztinnen oder weiteren Professionen hilfreich. Gerade nach orthopädischen Eingriffen oder bei neurologischen Störungsbildern ist die engmaschige Zusammenarbeit mit Logopädie und Ergotherapie von Vorteil.
Die zunehmende Verknüpfung kann zudem zu einer stärkeren Anerkennung und Sichtbarkeit therapeutischer Berufe beitragen. Wer als Logopäde oder Ergotherapeut Teil eines interprofessionellen Teams ist, kann sein Fachwissen direkter einbringen und gemeinsam mit den anderen Teammitgliedern Therapieziele entwickeln. In vielen Fällen hilft das auch, den Patienten ein vielfältigeres Angebot zu liefern.
Deutschland blickt nach vorn
Die Diskussion um eine verbesserte Primärversorgung hat inzwischen auch in Deutschland Schwung aufgenommen. Dort wird seit Längerem über ein Primärarztsystem debattiert, das Hausärztinnen und Hausärzten eine stärkere Rolle bei der Steuerung von Patientinnen und Patienten einräumen soll. Zahlreiche Fachverbände wünschen sich jedoch eine ausführlichere Einbindung zusätzlicher Gesundheitsfachberufe, um das gesamte System zu entlasten und den Bedürfnissen der Patientenschaft gerecht zu werden.
Vereinzelt haben große Gesundheitsverbände in Deutschland bereits Ideen vorgelegt, in denen die Erweiterung von Praxisstrukturen angeregt wird. Hier rückt insbesondere die Kombination aus ärztlicher Diagnostik und therapeutischen Kooperationspartnern in den Vordergrund. So könnten Praxen mit mehreren Räumen für Physiotherapie oder Logopädie die Angebote bündeln und gleichzeitig Facharzttermine besser koordinieren. Gleichzeitig sollen digitale Lösungen, wie Telemedizin und elektronische Patientenakten, helfen, die Abläufe zu optimieren.
Ausblick und Bedeutung für den Therapiealltag
Das Beispiel aus Österreich zeigt, wie sich mit ausreichend Förderung und Vernetzung ein Primärversorgungskonzept aufbauen lässt, das spürbar zum Erfolg für alle Beteiligten wird. Therapieberufe gewinnen dadurch, dass ihre Leistungen aufgewertet werden und sie als Teil eines Teams eine größere Verantwortung in der Patientenversorgung übernehmen können. Praxisinhaberinnen und Praxisinhabern eröffnet sich zugleich ein neues Geschäftsfeld – die Mitarbeit oder Kooperation in einem ganzheitlichen Zentrum, in dem Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie Hand in Hand mit der Allgemeinmedizin gehen.
Für den Alltag in der Praxis könnte das bedeuten, dass anstelle einer klassischen Überweisung zum Logopäden direkt auf kurzem Kommunikationsweg geklärt wird, ob eine Störung im Bereich der Sprache, des Schluckens oder der Stimme passt. Bei orthopädischen Beschwerden kann die Entscheidung über den Einsatz physiotherapeutischer Übungen rascher fallen, weil alle beteiligten Expertinnen und Experten Informationen sammeln und abgleichen. Das Resultat ist häufig eine passgenauere und schnellere Behandlung für die Patientinnen und Patienten.
Mit Blick nach vorn bleibt abzuwarten, wie stark sich derartige Versorgungskonzepte in Deutschland und anderen Ländern durchsetzen. Die Erfahrungen aus Österreich sind vielversprechend und bieten Vorlage für innovative Projekte, die therapeutische Zusammenarbeit über Praxisgrenzen hinweg intensivieren. Ob sich dieser Ansatz landesweit dauerhaft etablieren lässt, hängt nicht zuletzt von der Finanzierung und vom politischen Willen ab. Doch schon jetzt lässt sich erkennen, dass die Primärversorgung auf dem Vormarsch ist und den Stellenwert therapeutischer Berufe stärken könnte.
Wer sich in der Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie frühzeitig in solche Netzwerke einbindet, profitiert von Synergieeffekten, einem besseren Informationsfluss und möglicherweise einem stabileren Patientenaufkommen. Zugleich werden für angehende Fachkräfte neue Perspektiven geschaffen, in denen die Tätigkeit nicht nur einzeln in einer Praxis stattfindet, sondern in einem interprofessionellen Team. Das wirkt sich positiv auf die Attraktivität des Berufsbildes aus und kann gerade in ländlichen Regionen Versorgungsengpässe vermeiden.
Es lohnt sich daher, die Entwicklungen in der Primärversorgung weiter zu beobachten. Eine enge Verzahnung von Hausärztinnen und Hausärzten mit Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie hat das Potenzial, den Gesundheitssektor weiterzuentwickeln und Praxen langfristig zu entlasten. Therapeutinnen und Therapeuten, die sich auf zukunftsorientierte Strukturen einlassen, gestalten damit aktiv die nächste Generation der ambulanten Versorgung –