Interdisziplinäre Therapieansätze für mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität bei seltener Autoimmunerkrankung
Ein seltener Name für eine seltene Erkrankung: Das Stiff-Person-Syndrom (SPS) gehört zu den autoimmunen Störungen, mit denen sich in Praxis und Forschung noch viel zu wenige Menschen auskennen. Nach Schätzungen sind bundesweit nur etwa 200 bis 300 Fälle bekannt. Eine 22-jährige Betroffene teilt ihre Erfahrungen mit täglichen Herausforderungen zwischen Schmerzen, Spastiken und Therapeutensitzungen. Bemerkenswert ist, wie intensiv Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie in diesem Zusammenhang zum Einsatz kommen und welche Rolle sie für den Erhalt der Alltagskompetenzen spielen.
Seltene Krankheitsbilder erschweren die Diagnostik
Als der jungen Frau – nennen wir sie Theresa – erstmals im Alter von 18 Jahren beim Sport auffiel, dass ihre Beweglichkeit stark eingeschränkt war, lag für sie eine Routineuntersuchung nahe. Doch häufig ist der Weg zur Diagnose beispielsweise bei seltenen Autoimmunerkrankungen lang und mühsam. Theresa, die früher begeisterte Handballspielerin war, spürte plötzlich, dass ihr die üblichen Bewegungsabläufe deutlich schwerer fielen. Später kamen auffällige Schmerzen hinzu, die anfangs in den Beinen und im Rückenbereich auftraten.
Mit 18 oder 19 Jahren geht man in der Regel nicht direkt davon aus, ein seltenes Syndrom zu haben, gerade weil übliche Muskelverspannungen oder Wachstumsphasen viele Veränderungen mit sich bringen können. Gerade für Physiotherapeuten und Ergotherapeuten in ganz Deutschland ist es dennoch wichtig, bei unerklärlichen Spastiken und anhaltender Muskelverhärtung stets ein Auge auf mögliche seltene Ursachen zu haben. Theresa erinnert sich, dass sie nach vielen Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten erst im vergangenen Jahr Gewissheit erhielt: Sie leidet am Stiff-Person-Syndrom, das den Körper in dauerhafter Anspannung hält und Entspannung oder simple Bewegungen erschwert.
Diagnose Stiff-Person-Syndrom: Was bedeutet das?
Das Stiff-Person-Syndrom (SPS) zeichnet sich vor allem durch anhaltende oder immer wiederkehrende Muskelverkrampfungen aus. Dabei ist die Fähigkeit, einzelne Muskelgruppen in Wechselspannung zu halten, gestört. Eigentlich entspannt der Körper normalerweise die Muskulatur in einem Bereich, während ein anderer Bereich aktiv ist. Bei Patienten mit SPS spannen oft sämtliche Muskeln gleichzeitig an, was zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen kann. Das kann so weit gehen, dass schon das Aufstehen aus dem Bett einer taktischen Meisterleistung gleicht.
Diese Daueranspannung führt zu Erschöpfung und verlangt nach abgestimmten Therapiemaßnahmen aus Physiotherapie und Ergotherapie. Tatsächlich sind viele Betroffene auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen, weil einfaches Stehen kaum ohne Hilfsmittel funktioniert. Die Erkrankung kann zwar in zahlreichen Formen auftreten und es gibt individuell unterschiedliche Schweregrade, doch meist ist der Alltag stark beeinträchtigt.
Alltag zwischen Rollstuhl, Rollator und Praxis
Theresa braucht heute vor allem Unterstützung bei der Körperpflege und beim Haushalt. Selbst das Kochen oder Putzen gelingt ihr nicht ohne Hilfe. Im Wohnbereich bewegt sie sich zunehmend mit einem Rollator, länger Sitzpositionen kann sie ebenfalls nur kurz aufrechterhalten. Einfachste Streckbewegungen oder das Greifen nach Gegenständen bleiben mühsam, weil die Muskulatur in ständiger Alarmbereitschaft verharrt.
Um poplige Tätigkeiten wie vom Sofa aufstehen oder sich auf eine Gymnastikmatte legen zu können, muss Theresa besondere Kompensationsstrategien anwenden. So legt sie sich oft seitlich über Polster und Kissen, bis sie eine Position erreicht, mit der ihr Körper umgehen kann. Physio- und Ergotherapeuten in ihrer Praxis haben gemeinsam mit ihr ein Konzept entwickelt, das Schritt für Schritt Raum für mehr Flexibilität schaffen soll.
Noch nie gehört? Ein Fall für spezialisierte Therapeuten
Selbst in einer großen Praxis, in der häufig Patienten mit neurologischen Einschränkungen behandelt werden, ist das Stiff-Person-Syndrom ein seltenes Thema. Die Ergotherapeutin, die Theresa betreut, erzählt, dass sie zunächst selbst nach Fachinformationen suchen musste, um die genaue Krankheitsausprägung besser zu verstehen. Anschließend wurde ein spezielles Therapiemuster entworfen, das einerseits auf muskuläres Training abzielt, andererseits Entspannungstechniken fördert. Ziel sind kleine Fortschritte: etwa das Umkleiden im Sitzen, langsame Beugungen in den Kniegelenken oder ein stabiler Rumpf beim Gehen mit dem Rollator.
Für Logopäden mag Stiff-Person-Syndrom ebenfalls eine Rolle spielen, wenn durch die ständige Muskelkontrolle sprachliche oder schluckmotorische Einschränkungen auftreten. Zwar ist bei Theresa die Sprachfunktion bisher nicht von starken Spastiken betroffen, dennoch nutzt sie unterstützende Atemübungseinheiten, um Verspannungen im Hals- und Nackenbereich zu vermeiden. Der interdisziplinäre Ansatz ist ein zentrales Element, denn durch das Zusammenwirken von Patienten, Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten können viele Aspekte deutlich effektiver behandelt werden.
Therapie statt Resignation: Von Immuntherapie bis Sport
Obwohl es aktuell noch keine Heilung für das Stiff-Person-Syndrom gibt, versucht Theresa, alle ihr zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten auszuschöpfen. Eine neuartige Immuntherapie hat ihr beispielsweise dabei geholfen, wieder für kurze Zeit aufrecht zu sitzen. Doch mehr als Medikamente, sagt sie, zählen für sie die wöchentlichen Therapieeinheiten, die insgesamt rund sieben Stunden pro Woche einnehmen. Darunter sind Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychologische Gespräche.
Nicht zuletzt zählt Theresa auf Sport in moderater Dosis. Als ehemalige Handballerin fand sie es erst ungewohnt, sich in einer Halle auf das Spielfeld zu wagen, wo sie früher selbst aktiv war. Mittlerweile trainiert sie eine Nachwuchsmannschaft und schöpft daraus viel Motivation. Natürlich benötigt sie nach einem Training oder einem Schwimmbadbesuch deutlich längere Pausen, um sich zu erholen. Ihr Motto: Stillstand ist für sie keine Option, denn nur in Bewegung bleibt auch ein Krankheitsverlauf wie ihrer in Schach.
Organisation der Unterstützung: Papierkrieg und Behörden
Wer mit einer schweren, seltenen Krankheit wie dem Stiff-Person-Syndrom lebt, ist häufig auf Sozialleistungen angewiesen. Theresa berichtet, dass sie die meisten Angebote und Leistungen selbst recherchieren musste, da kaum jemand bei den Behörden von sich aus auf sie zukam. Diese Hürden sind für viele Betroffene enorme Belastungen, denn ständige Anträge, widersprüchliche Bescheide oder kurze Bewilligungszeiträume führen zusätzlich zu Stress. Dabei wäre Zeit für Erholung und Genesung eigentlich wesentlich sinnvoller.
Einen Fahrdienst, der ihr etwas mehr Mobilität ermöglicht, bezuschusst das zuständige Amt unter bestimmten Voraussetzungen. Für Theresa bedeutet das ein Stück Unabhängigkeit, da sie sonst selten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. Ihre Familie ist ihr größter Rückhalt: Die Eltern stehen ihr täglich bei und helfen bei der Alltagsorganisation.
Ehrgeiz als Motor für die Zukunft
Momentan ist es Theresa nicht möglich, in ihrem erlernten Beruf als Ergotherapeutin zu arbeiten. Der körperliche Aufwand wäre zu groß und das Risiko für dauerhafte Spastiken zu hoch. Dennoch blickt sie zuversichtlich nach vorne: Ein berufsbegleitendes Studium in Medizinpädagogik könnte ihr eine neue Perspektive geben. Für gewöhnlich müssen Studierende dabei nur wenige Präsenztage vor Ort leisten, was für Theresa eine enorme Entlastung bedeuten würde. So könnte sie Wissen und Erfahrungen aus ihrem alten Beruf weitergeben und künftige Therapeuten in ihrer Praxis sensibilisieren.
Die Botschaft, die Theresa vermitteln möchte, lautet: Auch bei einer seltenen Diagnose wie dem Stiff-Person-Syndrom lohnt es sich, durch Physiotherapie und Ergotherapie Schritt für Schritt die Mobilität zu erhalten. Zwar sind Rückschläge vorprogrammiert, doch mit Engagement und einem klaren Plan kann jeder kleine Fortschritt die Lebensqualität nachhaltig verbessern. Zusätzlich lohnt sich die Zusammenarbeit mit Logopäden, falls die Erkrankung sich auf die Stimme und entsprechende Muskeln auswirkt. Mit einem engagierten Therapeutenteam, das eng zusammenarbeitet, lassen sich selbst in seltenen Fällen individuelle Behandlungswege finden.
Fazit: Mit gezielter Therapie zu mehr Selbstbestimmung
Das Stiff-Person-Syndrom ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie wertvoll ganzheitliche Therapieangebote sein können. In einer Praxis, die einen interdisziplinären Ansatz verfolgt, erhalten Betroffene mehr als nur einzelne Übungen: Sie bekommen ein durchdachtes Konzept aus Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und, wenn nötig, psychologischer Begleitung. Gerade für seltene Erkrankungen existiert in Deutschland ein Netzwerk von Spezialisten, dessen Ausbau unverzichtbar ist, um eine größere Bandbreite an Symptomen gezielt zu behandeln.
Auch wenn eine Heilung für SPS bislang nicht in Sicht ist, zeigen Erfahrungen wie die von Theresa, dass es möglich ist, trotz schwerer Beeinträchtigungen aktiv zu bleiben. Wer frühzeitig eine Diagnose erhält und die Zusammenarbeit mit einem kompetenten Team sucht, kann langfristig von deutlich mehr Bewegungs- und Handlungsspielraum profitieren. Mit Geduld und Fachkompetenz lässt sich für Patienten mit diesem Syndrom ein individueller Weg finden, der vom Erhalt der Fähigkeiten bis hin zur mentalen Gesundheit reicht. Das Ziel: Ein möglichst eigenständiges Leben, getragen vom Einsatz aller Beteiligten und dem Willen, niemals aufzugeben.