Innovative Therapieansätze und interdisziplinäre Betreuung in Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie für die Versorgung von Erwachsenen mit Behinderung

Wachsende Herausforderungen in der Versorgung erwachsener Menschen mit Behinderung

In vielen therapeutischen Praxen zeigt sich zunehmend, dass spezielle Angebote für Erwachsene mit Behinderung noch immer nicht in ausreichendem Umfang existieren. Dies betrifft keineswegs nur die allgemeinmedizinische Betreuung: Auch in Bereichen wie Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie werden die Therapie- und Behandlungsoptionen für erwachsene Patientinnen und Patienten mit schweren Mehrfachbehinderungen knapp. Um die bereits vorhandenen Versorgungslücken zu schließen, sind Einrichtungen erforderlich, die ein ganzheitliches Konzept verfolgen und das komplexe Krankheitsbild der Betroffenen berücksichtigen.

Ein Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) ist ein Ort, der genau diese Lücke füllt. Dort kümmert sich ein multiprofessionelles Team aus Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten verschiedener Disziplinen (darunter Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie), Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Fachleuten aus Pädagogik, Pflege und Sozialarbeit um die umfassende Behandlung. Solche Einrichtungen sind jedoch rar gesät, sodass ihre Kapazitäten schnell erschöpft sind. Die Nachfrage ist dementsprechend groß, und die patientenseitige Wartezeit für die Aufnahme in ein solches Zentrum kann sich zum Teil auf zwei Jahre oder mehr belaufen.

Behandlungsbedarf in der Praxis: Spezifische Krankheitsbilder und komplexe Anforderungen

Bei Menschen mit schweren Behinderungen, wie beispielsweise einer Intelligenzminderung oder einer komplexen neurologischen Störung, ist eine engmaschige Betreuung unabdingbar. Gerade wenn verschiedene Krankheitsbilder zusammenfallen, können einfache Routinen, wie der Alltag in einer Praxis, zu einer Herausforderung werden. Im MZEB-Kontext werden daher gezielt Mitarbeitende eingesetzt, die sich mit den Besonderheiten der jeweiligen Patientinnen und Patienten auskennen. Viele dieser Personen können aufgrund ihrer Einschränkungen nicht verbal kommunizieren, sodass Fachkräfte – zum Beispiel Logopädinnen und Logopäden – sehr genau auf nonverbale Signale achten müssen. Das Ziel ist, eine angepasste Kommunikation und eine fundierte Diagnostik sicherzustellen, die in einer herkömmlichen Praxis nur sehr schwer realisierbar wäre.

Darüber hinaus sind Spezialisierungen auf bestimmte Krankheitsbereiche unverzichtbar. Zahlreiche Patientinnen und Patienten leiden an neurologischen Störungen, etwa Spastiken oder Epilepsien. In anderen Fällen liegen endokrinologische Probleme, also Hormonstörungen, oder eine autistische Verhaltensausprägung mit entsprechenden Anforderungen an die Therapie vor. Die Physiotherapie übernimmt in solchen Fällen vielfältige Aufgaben rund um die Beweglichkeit, Muskelkraft und die besondere Lagerung der Patientinnen und Patienten. Mitunter ist auch der Einsatz von Medikamenten oder Botulinumtoxin erforderlich, um starke Muskelverspannungen zu mildern. Therapien wie die Logopädie intervenieren dort, wo Sprech-, Schluck- oder Kommunikationsschwierigkeiten die Teilhabe am sozialen Leben erschweren.

Hohe Nachfrage und begrenztes Angebot

Aktuell existieren nur wenige MZEBs pro Bundesland, häufig sind es nur ein bis drei Einrichtungen. Viele Familien müssen daher lange Anfahrtswege auf sich nehmen, um eine adäquate medizinisch-therapeutische Versorgung zu erhalten. Infolgedessen stauen sich die Wartelisten, was wiederum Betroffene und ihr soziales Umfeld enorm belastet. Auch für Therapeutinnen und Therapeuten, die am MZEB arbeiten, ist dies eine Herausforderung: Das multiprofessionelle Team hat die Aufgabe, eine große Anzahl an Anfragen zu sichten und den Behandlungsplan der bereits aufgenommenen Patientinnen und Patienten möglichst kontinuierlich und individuell zu gestalten.

Um diesen Zustand zu verbessern, sind zwei große Themen entscheidend. Erstens müssen ausreichend personelle Ressourcen vorhanden sein. Ärztinnen und Ärzte, Fachkräfte aus Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sowie Expertinnen und Experten aus Pflege, Psychologie und Sozialdienst werden dringend gesucht. Zweitens sind die räumlichen Kapazitäten zu erweitern, um mehr Behandlungsplätze zur Verfügung zu stellen. Denn in MZEBs trifft man auf umfassende Infrastruktur wie Bewegungsräume, Praxisräume für logopädische oder ergotherapeutische Anwendungen und Räume für ärztliche Untersuchungen. So entstehen integrative Konzepte, die Patientinnen und Patienten mit komplexen Mehrfachdiagnosen eine breitere Palette an Behandlungsmöglichkeiten öffnen.

Warum die Lotsenfunktion so bedeutend ist

In einem multiprofessionell aufgestellten Team übernimmt jede Fachrichtung eine wichtige Rolle. Gerade für Personen, die Aufgrund ihrer Behinderungen selbst nur eingeschränkt kommunizieren können, ist es enorm wichtig, dass bei Bedarf „Lotsen“ zur Seite stehen. Diese Lotsenfunktion kann im konkreten Fall bedeuten, dass das MZEB-Team Kontakt zu Wohneinrichtungen, Werkstätten oder Kliniken aufnimmt und dort für eine optimale Koordination sorgt. Ebenso können spezialisierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter externe Partner beraten und schulen, etwa wenn es darum geht, wie man bestimmte Lagerungstechniken oder Hilfsmittel in einer Praxis korrekt einsetzt.

Kommt es beispielsweise zu einem Krankenhausaufenthalt, ist eine reibungslose Absprache zwischen Allgemeinstationen und spezialisierten Therapeuten essenziell. Hier zahlt sich das Netzwerk eines MZEB aus. Mitarbeitende wissen, welche individuellen Bedürfnisse jede Patientin oder jeder Patient hat, um Unklarheiten und Missverständnisse zu verhindern. Denn schon eine vermeintlich einfache Blutentnahme kann für eine erwachsene Person mit einer starken Behinderung zu einer erheblichen Stresssituation werden, wenn niemand weiß, wie sie am besten beruhigt werden kann oder welche Hilfen die Situation erleichtern.

Versorgung im Alter – neue Anforderungen für die Geriatrie

Besonders interessant ist, dass die Patientinnen und Patienten aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung immer älter werden. Nicht selten übersteigen sie heute das 60. oder sogar 70. Lebensjahr. Daraus ergeben sich für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie noch einmal ganz neue Fragestellungen und Herausforderungen. Alterserkrankungen wie Demenz oder Parkinson können sich bei einer Person, die ohnehin schon Multiple Behinderungen hat, anders äußern als bei jemandem ohne Vorbelastung. Darüber hinaus können sich altersbedingte körperliche Veränderungen, wie beispielsweise ein Nachlassen der Muskelkraft, verstärkt auswirken.

Zukünftig gewinnt daher die enge Verknüpfung zwischen MZEBs und der Geriatrie zunehmend an Bedeutung. Jede Praxis, die sich auf die Behandlung älterer Menschen spezialisiert hat, könnte in bestimmten Fällen Kooperationspartner eines solchen Zentrums werden. Bei der Gestaltung maßgeschneiderter Therapiepläne gilt es, einerseits die bestehenden geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen und andererseits mögliche typische Alterserkrankungen nicht aus dem Auge zu verlieren.

Relevanz für die therapeutische Praxis

Für Therapeutinnen und Therapeuten sind MZEBs in mehrfacher Hinsicht relevant. Sie bieten Arbeitsplätze in einem hoch spezialisierten Umfeld, in dem die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen zum Alltag gehört. Dies erfordert Teamgeist, Verständnis für unterschiedliche Einsatzbereiche und Offenheit für neue Behandlungsansätze. Gleichzeitig ermöglicht der Einsatz in einer solchen Einrichtung aber auch die Vertiefung und Erweiterung der eigenen Kompetenzen. Wer beispielsweise als Logopäde oder Ergotherapeutin bisher vorwiegend in einer klassischen Praxis gearbeitet hat, kann im MZEB eine Vielzahl neuer Krankheitsbilder kennenlernen und davon für das gesamte Berufsleben profitieren.

Zudem hat die Thematik eine langfristige Perspektive. Der Bedarf an spezialisierten medizinischen und therapeutischen Angeboten wächst, weil Menschen mit Behinderungen dank immer besserer medizinischer Infrastruktur ein höheres Lebensalter erreichen. Das bedeutet für Therapeutinnen und Therapeuten nicht nur mehr Patientinnen und Patienten, sondern auch erweitert sich das Spektrum der Behandlungsformen. Darin liegen durchaus Chancen: Wer Lust auf innovative Konzepte und multiprofessionelle Zusammenarbeit hat, kann in einem MZEB große Gestaltungsspielräume vorfinden.

Der Weg zu mehr Zentren und Fachkräften

Politische Pläne, die die Zahl der MZEBs oder ähnliche Inhalte erhöhen, gab es bereits mehrfach. Doch die tatsächliche Umsetzung liegt häufig im Argen. Trotz hoher Nachfrage und diverser Pilotprojekte bleibt die Finanzierung schwierig; hinzu kommt der generelle Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Fachleute in Praxis und Forschung sind sich aber einig: Nur wenn genügend Einrichtungen und genügend Personal zur Verfügung stehen, kann die Versorgungslücke geschlossen werden.

Dass zwei Jahre Wartezeit für viele Betroffene und deren Angehörige kaum zumutbar sind, steht außer Zweifel. Nicht selten entstehen zudem Probleme bei plötzlich auftretenden Krisensituationen: Zum Beispiel kann eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustands eintreten, die sofortiges Handeln erfordert. Ein MZEB-Team kann zwar koordinieren und Ansprechpartner vermitteln, doch wenn es bereits am schlichten Platz für neue Patientinnen und Patienten fehlt, verpufft dieser Effekt.

Ausblick: Ganzheitliche Betreuung dank interdisziplinärer Teams

Erwachsene Menschen mit einer mehrfachen Behinderung brauchen eine verlässliche, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene und langfristig angelegte medizinisch-therapeutische Betreuung. Das gilt für Diagnose und Therapie, aber ebenso für eine adäquate Nachsorge. Ob es um die persönliche Entwicklung im Alltag, die Teilhabe am Berufsleben oder den Umgang mit altersbedingten Veränderungen geht – spezialisierte Teams spielen eine Schlüsselfunktion.

Wer in einer Physiotherapie-Praxis, einer Ergotherapie-Praxis oder als Logopäde tätig ist und sich für diese Thematik interessiert, sollte erwägen, sich weiterzubilden und Kontakt zu bestehenden MZEBs aufzunehmen. Zusammen lässt sich viel bewegen, gerade weil der Bedarf so hoch ist. Jede Therapeutin und jeder Therapeut, der sich für diesen Bereich qualifiziert, hilft letztlich dabei, Menschen mit Behinderung auf ihrem Lebensweg besser zu begleiten und ihre Lebensqualität nachhaltig zu steigern.

Wichtig ist, das Thema nicht auf die lange Bank zu schieben. Zu hoffen bleibt, dass in naher Zukunft mehr Initiativen entstehen, die MZEBs ausbauen, neue Standorte eröffnen und Fachkräfte umfassend qualifizieren. Gemeinsam gilt es, dafür zu sorgen, dass die Wartelisten schrumpfen und Menschen mit Behinderungen in jeder Lebensphase auf passende, ganzheitliche Behandlungskonzepte zugreifen können.

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